Dass die Shetland Inseln für europäische Verhältnisse recht abgelegen sind, bestreitet wohl niemand. Und doch machen sich jedes Jahr zum Herbstanfang unzählige Leute aus den entlegensten Ecken der Welt auf zur Shetland Wool Week und nehmen dafür die abenteuerlichesten Reisewege auf sich.
Teilnehmerkarte im Treffpunkt
Auch die Anreise ist nicht immer gemütlich: Anfang Oktober kann es schon recht stürmisch zugehen zwischen Nordsee und Atlantik. Die Flugzeuge sind klein und wacklig und ob das Wetter tatsächlich einen Flug zulässt, weiß man vorher nie so genau. Auch die Fähre, die über Nacht vom britischen Festland nach Lerwick fährt, ist da nicht wirklich eine ruhigere Alternative. Das einzige, was unterwegs tröstet ist der Wool Week Modus, der oft schon im ersten Umsteigeflughafen in Amsterdam, aber spätestens in Edinburgh beginnt: überall sitzen strickende Leute in perfekten Fair-Isle-outfits, und es braucht nichts weiter als dies, um zu erkennen, wohin die Reise geht.
Hub im Shetland Museum
Wool Week Hat 2019: der roadside Beanie
Hat man jedoch alle Reisehindernisse überwunden, wird man definitiv belohnt: mit einer grandiosen Natur, die so rauh, urgewaltig und dominant ist, dass die Ansicht, wir Menschen würden die Welt beherrschen, sich in nullkommanichts in Luft auflöst. Mit einer Weite und Klarheit, die Demut und Dankbarkeit entstehen lässt und einen klaren Blick für das öffnet, was wirklich im Leben zählt. Mit Farben und Formen, die jeden Kreativen sofort in neuen Entwürfen und Ideen schwelgen lassen.
Shetland Mainland: Blick vom Sumburgh Lighthouse
Sky colours
...und Rost am Hafen: Farben für das nächste Fair Isle Projekt
Und natürlich mit allem, was Stricken und Wolle betrifft: Schafe, original Shetland Garn, Spinnereien, Farmer und ihre Höfe, Muster, workshops und andere Menschen, die genauso strickverrückt sind, wie man selbst. Viele bezeichnen die Inseln als extrem, und in einem sind sie das sicher: entweder man liebt sie, oder man hasst sie.
Während der Wool Week herrscht überall Ausnahmezustand: eine Woche lang treffen sich Tausende Strickbegeisterte, um workshops zu besuchen, das Land und die Leute kennenzulernen, Designer in ihren Studios zu treffen und die örtlichen Wollshops zu stürmen. Das Angebot ist riesig: vom klassischen Anfängerkurs im Fair-Isle-Stricken, Filzen, Spinnen, Fair-Isle-Schmuck herstellen, Weben, Färben oder Maschinenstricken bis hin zum Stricken mit Draht, ist alles dabei, was man sich wolltechnisch nur denken kann. Im gemeinsamen Treffpunkt im Shetland Museum kann man jederzeit sitzen, stricken, erzählen und Ausstellungen besuchen und wenn man abends noch genug Energie hat, gibt es „knitting nights“ und „shetland spree“.
Von allem jedoch eine Spur mehr gibt es in Fair Isle (von der Anzahl der Menschen mal abgesehen). Die Insel, nach der das typische Stricken benannt ist, ist die abgelegenste der Shetland-Inseln: sie liegt ziemlich genau zwischen der Südspitze von Shetland Mainland und den Orkney-Inseln. Dort leben ungefähr 40 Menschen und ca. 1200 Schafe. Man gelangt per Flug von Tingwall auf Mainland mit einem noch wackligeren und noch kleineren Flugzeug in ca. 25 min dorthin. Es gilt auch hier: das Wetter bestimmt das Leben und man sagt: „Gehe nicht nach Fair Isle, wenn Du sonst noch etwas zu tun hast“. Ein kleiner Tagesausflug kann hier schnell zu einem ungeplanten längeren Aufenthalt werden.
Die Insel ist von moosigem Gras überzogen, von ein paar Häusern und vielen Schafen. Ob es einen oder mehrere Sträucher gibt, die als Baum bezeichnet werden können, ist selbst unter den locals umstritten. Aber genau das macht die Insel aus: die Weite, die Klarheit, der Überblick. Wenn man auf der kleinen Schotterpiste, die das Wort Flughafen wirklich nicht zulässt, aus dem Flieger steigt, spürt man Wind, salzige Seeluft und man hört: nichts! Die Stille, die selbst die wenigen Zivilisationsgeräusche schluckt, ist unglaublich und zutiefst beeindruckend.
Anflug auf Fair Isle
Auf Fair Isle betreibt man Landwirtschaft, fischt, strickt oder beobachtet Vögel. Durch die besondere Lage mitten im Meer gibt es hier für Vogelbeobachter viel zu sehen. Man nennt Fair Isle deshalb auch die Insel der Vögel und Pullover.
Blick vom South Lighthouse
Fair Isle dountown
Hafen an der Nordseite
Fazit: Fair Isle und die Shetlands sind speziell, aber wunderschön. Wenn Sie nicht extrem strickbegeistert sind, sollten Sie nicht unbedingt zur Wool Week time dorthin reisen. Sind Sie es, ist die Wool Week eins der besten Strickevents, das man unbedingt gesehen haben sollte. Mein Tip: planen Sie früh! Flüge und Unterkunft sind begehrt und schnell ausgebucht. Ebenso die Workshops – wenn der Ticketverkauf im Frühjahr beginnt, sollte man schon rechtzeitig zur opening time am Computer sitzen! Am besten planen Sie anschließend ein paar Tage Urlaub, denn erholsam ist diese Woche nicht wirklich. Und nehmen Sie bloß genug leere Koffer mit: ich verspreche Ihnen – sie sind auf dem Rückweg voll!